#4190
Martin W
Participant

    A second letter from Kiemens:

    Klemens Steiof 6.3.2006 Wichgrafstraße 16A 14482 Potsdam [email protected] Geflügelpest Sehr geehrte Damen und Herren, mittlerweile habe ich auf mein Schreiben vom 27./28.2.2006 viele Rückkoppelungen erhalten. Diese reichen von Zustimmung bis zu „ziemlichen Unsinn“. Darüber hinaus habe ich zahlreiche Gedanken und Anregungen von Nial Moores (Süd-Korea) und Dr. Martin Williams (Hongkong) erhalten, nach denen ein differenzierteres Bild gezeichnet werden kann. Meine Erwiderung muss daher leider etwas detaillierter ausfallen. Unter den kritischen Stellungnahmen ist die von Wolfgang Fiedler von der Vogelwarte Radolf-zell am ausführlichsten. Ich möchte sie daher nachfolgend wiedergeben, auch um die Diskus-sion möglichst transparent fortzusetzen (Zitat):

    Quote:
    Darüberhinaus kann ich aber in den derzeitigen Ausbruchsmustern durchaus Übereinstimmun-gen mit dem Vogelzuggeschehen finden. Zwar längst nicht in allen Fällen, aber es ist ja auch nicht zu erwarten, dass das Virus ausschließlich das eine oder das andere Vehikel benutzt. Ich sehe bei den Steiof-(BirdLife-, LBV-…)

    Argumenten einige Probleme:

    1) ".. weder innerhalb Asiens, noch von Asien nach Europa gibt es Zugrouten zwischen den be-troffenen Gebieten." Das ist leider falsch. Der Weg des Virus folgt von der Chinesischen Küste dem Herbstvogelzug in den Indoasiatischen Raum. Über eine einzige Zwischenetappe im Süd-asiatischen Raum (Herbstzg – Winter – Frühjahrszug) lässt sich die Westwärtsbewegung erklären. Auch die räumliche und sogar zeitliche Koinzidenz (einschließlich der Übereinstimmung beim Vi-rentyp) auf der Etappe von Südwestsibirien bis ins Schwarzmeergebiet lässt sich nicht überse-hen. Zweifellos gibt es auch eine ganze Reihe so nicht erklärbarer Wege des Virus, aber es wäre unzutreffend zu sagen, dass es überhaupt keine Übereinstimmung gibt. Ich bin aufgrund der der-zeitigen Ausbruchsmuster davon überzeugt, dass wir uns alle von der Annahme verabschieden müssen, dass die Ankunft des Virus im Freiland (transportiert durch einen Wildvogel) an einer bestimmten Stelle unausweichlich und zeitnah dort zu bemerkbarem Massensterben bei Wildvö-geln führen muß. So lassen sich viele Ausbrüche auf der zeitlichen Achse schlichtweg überhaupt nicht erklären. Das heißt dann aber auch, dass die Westwärtswanderung über mehrere Zugpe-rioden hinweg durchaus denkbar ist, ohne dass an jedem Knoten der gedachten Kaskade sofort Massensterben registriert werden müssen. Wer sich die Bilder der stark um die Nordrichtung auf-gefächerten Brutzeit-Ringfunde von im Winterquartier beringten Enten vergegenwärtigt, versteht, was ich mit dem Potenzial zur Ost -West-Wanderung meine.

    2) "Die meisten Vögel sterben an Ort und Stelle". Diese Annahme ist in zweierlei Hinsicht wohl so nicht mehr haltbar: erstens gibt es inzwischen Arbeiten, die in Asien für Hühner hochpathogenes H5N1 in klinisch gesunden Wildvögeln (Enten, Weidensperling) nachweisen konnnten (wenn auch sehr geringe Zahlen, aber wir wissen ja nicht, wie hoch die Dichte solcher Vektoren sein muß, um beispielsweise einen Ausbruch in einem Wasservogelgebiet zu provozieren). Zweitens würde diese Annahme bedeuten, dass in Wien, auf Rügen, am Bodensee, am Genfer See, in Wolfratshausen, am Lech, in Schweden und in Frankreich jeweils innerhalb der drei Wochen vor den Ausbrüchen das Virus aus Vogelgrippegebieten antransportiert worden sein muß. Entspre-chende Zugvogelbewegungen können wir ausschließen und Geflügelprodukte oder -mist, die an all diesen Stellen innerhalb sehr kurzer Zeit gleichzeitig antransportiert und freigesetzt wurden sind als Alternativhypothese genauso wenig plausibel.

    3) " daß in Ländern mit strikten Einfuhrkontrollen keine Geflügelpest auftritt.." Dies trifft für Australien (und Neuseeland) zu und stellt damit auch wirklich ein gutes Argument gegen die pri-mitiveren Formen der Zugvogel-Vektoren-Hypothese dar (allerdings mit der leichten Einschrän-kung, dass wohl nur sehr wenige Enten aus den Ausbruchsgebieten wirklich Australien erreichen und die sind ja als Vektoren besonders unter Verdacht). Aber die Liste der Länder ist nicht ganz richtig: es gab H5N1-Ausbrüche auch in Japan, Südkorea (jeweils Januar 2004). Malaysia hat bisher offenbar wirklich keine Fälle gemeldet, aber das kommt mir angesichts einer ganzen Kette von Ausbrüchen auf thailändischer Seite entlang der Malayischen Grenze nicht sehr verlässlich vor.

    4) Geflügelfutter; Geflügelkot-Düngung: wo genau sind hier die auf die Situation in Europa zu-treffenden Argumente, wenn wir mal die Vermutung außer Acht lassen, dass die Agroindustrie in zahlreichen Skandalen den Eindruck hinterlassen hat, letztlich zu allem fähig zu sein? Ich habe erhebliche Probleme mit der Vorstellung, dass infizierter Hühnerdung aus China innerhalb von drei Wochen auf deutsche Felder gelangen soll, ohne vorher auszutrocknen oder sich über 10° zu erwärmen (dies sollte die Überdauerungsfähigkeit der Viren nochmals verkürzen). Der Trans-port wird ja kaum mit dem Flugzeug stattfinden. Und auch die Annahme von Hühnermistexporten aus der Ukraine, Rumänien (beide übrigens Importeure und nicht Produzenten von Geflügel im Bereich von je 10 – 15 Mio. / Jahr) oder der Türkei in alle oben genannten neueren Ausbruchs-gebiete gleichzeitig ist für mich alles andere als plausibel. Die Hypothese vom verseuchten Ge-flügelfutter finde ich für Mitteleuropa deswegen problematisch, weil die jüngsten Ausbrüche eben gerade nicht in Geflügelbeständen, sondern im Freiland stattgefunden haben und dem eben ge-rade keine Ausbrüche in Geflügelbeständen voraus gingen. Das lässt sich dann nur noch mit wil-den Verschwörungs- und Geheimhaltungstheorien erklären, die wir uns realistischerweise erspa-ren sollten und bei denen wir uns erinnern sollten, dass es selbst den totalitären Staaten und sol-chen mit deutlicher Pressezensur nicht gelungen ist, Geflügelpestausbrüche mittelfristig geheim zu halten. 5) der von vornherein wohl nicht ganz ernst gemeinte Vorwurf der Freisetzung der Viren aus dem FLI hat sich mit den Ausbrüchen am Bodensee ja wohl erübrigt (nein, auch an der Vogelwarte haben wir keine solchen Viren vorrätig, obwohl die beiden ersten deutschen Ausbruchsgebiete jeweils in Rufweite einer Beringungszentrale (Hiddensee, Radolfzell) ja nun auch eine bemer-kenswerte Koinzidenz darstellen und die Frage aufwerfen, ob in Ostfriesland (IfV Wilhelmshaven) vielleicht nachlässig untersucht wird??) Aber Spaß beiseite: ich hoffe, man nimmt es mir nicht übel, wenn ich auch die Argumente der Gegner der Vogelzug-Vektoren-Hypothese kritisch hinterfrage. Ich glaube nicht, dass viel zu ge-winnen ist, wenn auf so dünnem Eis argumentiert wird. Und dabei vermute ich viel belastbarere Punkte hier: – die offensichtliche Zeitlücke zwischen Ankunft potenzieller Wildvogel-Virenträger und den ersten bemerkten Ausbrüchen von 12-15 Wochen. Wo ist das Virus in dieser Zeit und warum wird es nicht bemerkt? – den beginnenden Endemismus von H5N1 in Regionen Asiens (wie kann ein Virus endemisch werden, von dem man gleichzeitig annimmt, dass es durch Wildvögel um halbe Kontintente ver-breitet wird?) – die fehlenden Ausbrüche in hochfrequentierten Ziel- und Durchzugsgebieten von Zugvögeln aus hoch belasteten AI-Gebieten – erste Analysen zur genetischen Verwandtschaft verschiedener H5N1-Typen, aus denen sich Ausbreitungswege (in SE-Asien) rekonstruieren lassen, die Wildvogelverbreitung nicht sehr wahrscheinlich machen, aber deutliche Zusammenhänge mit Geflügelbewegungen aufweisen. Ich halte es für empfehlenswert, an diesen Punkten anzusetzen und dabei aber nicht grundsätz-lich die Möglichkeit auszuschliessen, dass auch (!) Wildvögel das Virus übertragen können – nur eben nicht nach den derzeit in Politik und Presse gerne dargestellten Primitivmustern. Viele Grüße Wolfgang Fiedler

    Zu den einzelnen Punkten möchte ich folgendes anmerken: Zu 1) Die Erklärungsansätze mittels Zugrouten von China über den indoasiatischen Raum nach Europa (und letztlich Rügen) scheinen mir nicht plausibel, zumal sie über mehrere Zugperioden stattgefunden haben (können) sollen. Wo steckt das Virus in der Zwischenzeit? Es gibt keine Erkenntnisse darüber, dass das Virus im Freiland „inaktiv“ überdauern kann. Weder nach dem großen Ausbruch in Qinghai noch in der Mongolei gab es irgendwelche späteren Infektionen bei Wildvögeln. Es gibt auch keine Belege dafür, dass das Virus in einer Wildvogelpopulation überleben kann. Nach allen Erkennt-nissen im Freiland bekommen viele Vögel in den Befallsgebieten das Virus gar nicht. Bei den übrigen gibt es die Alternative, das sie daran sterben, oder mit dem Virus fertig wer-den. In beiden Fällen verschwindet das Virus schnell wieder. Ein „Pingpong-Effekt“, nach dem das Virus innerhalb der Inkubationszeit (und danach?) an andere Vögel wei-tergegeben wird und sich so über Monate unentdeckt in der Vogelpopulation hält, ist für diesen hochpathogenen Erreger nicht wahrscheinlich. Es müsste hier eine Vogelart (-population) geben, auf die das Virus nicht hochpathogen wirkt. Dazu liegen meines Wis-sens keine Erkenntnisse vor. Und: Warum werden in Ländern wie Japan, Südkorea und Indien keine Ausbrüche (im Freiland wohlgemerkt) festgestellt, obwohl dort wesentlich mehr Vögel aus und durch die Befallsgebiete hinziehen als nach Europa? Es gab keine Krankheitsausbrüche im Frei-land irgendwo zwischen Kaspischem Meer und Japan im letzten Winterhalbjahr – auch nicht in Indien, wo viele Vögel überwintern, die durch Qinghai ziehen und dort brüten.

    Würde die Seuche durch Wildvögel aus den asiatischen Befallsgebieten transportiert werden, hätten Ausbrüche entlang der Zugwege bei den vielen Millionen Wasservögeln in Asien festgestellt werden müssen. Die Annahme, dass das Virus über Wildvögel von China nach Europa (bis Deutschland) gelangt sein soll, scheint mir daher äußerst un-wahrscheinlich. Zu

    2) Es ist nach wie vor so, dass am hochpathogenen H5N1-Virus die meisten Wild-vögel an Ort und Stelle sterben. Wenn dem nicht so wäre, gäbe es mehr radiale Aus-breitungszonen um die Seuchenherde, und zwar kurzfristig. Außerdem müssten ver-mehrt Wildvögel nachgewiesen werden, die das Virus tragen. Stattdessen wird das Virus offenbar ausschließlich in toten und sterbenden Tieren nachgewiesen. In Hongkong wurden in den letzten Jahren rund 16.000 lebende Wildvögel beprobt – alle negativ. Alle dort mit dem Virus infizierten gefundenen Wildvögel waren tot (Martin Williams per e-mail). Die offenbar extrem wenigen Feststellungen des hochpathogenen Virus in gesun-den Wildvögeln (was waren das für Weidensperlinge?) können eigentlich nur innerhalb der Inkubationszeit beobachtet worden sein. Danach würde entweder der Organismus das Virus beseitigt haben oder an ihm sterben. In dieser Zeit können natürlich Infektio-nen anderer Vögel erfolgen, die aufgrund der kurzen Inkubationszeit (s.u.) zu Krank-heitsausbrüchen führen. Erkenntnisse über Vogelarten, auf die das Virus nicht hoch pathogen wirkt, liegen wie gesagt nicht vor. Wenn es eine solche Vogelart gäbe, könnte sich das Virus dort theoretisch halten, ohne zu Ausbrüchen zu führen. Nachweise an Stockenten in Gefangenschaft (auf diesen publizierten Fall mag sich die Anmerkung beziehen), die das Virus bei (scheinbarer) Gesundheit im Körper hatten, dürfen nicht ohne weiteres auf Zugvögel übertragen werden, die ganz anderen physio-logischen Anforderungen unterliegen (siehe hierzu auch Quelle

    1). Die Fälle nahezu zeitgleichen Auftretens (innerhalb der letzten 1-2 Wochen) infizierter Wildvögel an verschiedenen Stellen in Mitteleuropa sprechen in der Tat gegen die These, dass ausgebrachtes Material zu den Infektionen geführt hat. Aber – wie Wolf-gang Fiedler selbst feststellt – sprechen sie auch gegen die Verbreitung durch Zugvögel. Ein Beispiel dafür, wie wenig wir wissen. Als wenig hilfreich empfinde ich die Zufälligkeit der Argumentation: Die Ausbrüche in Deutschland kamen zu einer Zeit der Winterruhe. Auch Wolfgang Fiedler sieht keine Korrelation zu Flugwegen von Zugvögeln. Wäre bei Ausbrüchen im März/April, zu einer Zeit intensiven (Wasser)Vogelzuges, nicht das Argument gekommen, die Zugvögel hät-ten das Virus bringen können? Und das unabhängig davon, ob im Ursprungsgebiet ein Seuchenausbruch festzustellen war oder nicht. Anmerkung: Vielleicht wäre ein Ausbruch im März/April gar nicht erfolgt, weil das Virus den Transportweg bei höheren Temperatu-ren nicht überlebt hätte (siehe zu 4). Zu

    3) Hier war ich in meinem Schreiben vom 27.2.06 vielleicht etwas zu knapp. In Ja-pan und Süd-Korea sind keine Ausbrüche in Wildvogelbeständen festgestellt worden, was bei über einer Million allein in Südkorea überwinternder Wasservögel wirklich be-merkenswert ist – und das nur 500 km von Südchina entfernt, wo seit rund 10 Jahren die Seuche existiert! Es gab Ausbrüche in Geflügelhaltungen, mit kleinen Opferzahlen bei Wildvögeln. Dieses waren aber keine Zugvögel, sondern z.B. Krähen, die Abfälle fraßen. Alle Ausbrüche wurden mit Schlachtungen des Geflügels beseitigt (vgl. auch Quelle1). Auch das von Wolfgang Fiedler genannte Beispiel von Thailand (viele Ausbrüche) und dem Nachbarland Malaysia (kaum Ausbrüche) zeigt, wie unterschiedlicher Umgang mit Kontrollen und unterschiedlicher Umgang mit der Geflügelindustrie das Auftreten der Seuche bestimmt, nicht jedoch das Auftreten von Zugvögeln. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, Krankheitsausbrüche in Malaysia würden weniger bekannt als in Thai-land.

    Im übrigen hatte Malaysia kürzlich ein Auftreten der Seuche, vermutlich auf Ein-schmuggeln von Kampfhähnen zurückzuführen. Für mich ist dieser Umstand des Stopps der Seuche vor Staatsgrenzen ein ganz ge-wichtiges Argument dafür, dass der Transport über den Handel sehr wahrscheinlich, über Wildvögel hingegen äußerst unwahrscheinlich ist. Zu 4) Ich habe keinerlei detaillierte Informationen über den Umgang mit Geflügelkot und –abfällen als Dünger (und Futter). Ich habe einzelne Fakten genannt und angeregt, auch hier nachzusuchen (anstelle nur bei den Wildvögeln). Quelle2 liefert hierzu zahlrei-che Anregungen! China muss hier auch nicht die einzige potenzielle Quelle sein.

    In der Türkei existiert in Afyon eine Fabrik zur Produktion von organischem Dünger aus Hüh-nermist, die eine Kapazität von 300 to täglich hat und damit die größte in Europa ist (Quelle3). Gleichzeitig werden als Hauptimporteure des Wirtschaftsbereiches „Tier- und Meeresprodukte“ aus der Türkei die Länder Italien, Deutschland, Frankreich, Griechen-land und Japan genannt. Wie lange braucht ein LKW von der Türkei nach Mitteleuropa? Jetzt in der kalten Jahreszeit ist die Fahrzeit wesentlich kürzer, als H5N1-Viren lebens-fähig sind. Ich habe keinerlei Informationen darüber, ob derartige Transporte stattfinden, ob LKW nach jedem Transport desinfiziert werden oder ob Dünger ausgebracht, Dünge-säcke gelagert werden oder dergleichen. Aber diese möglichen (bis wahrscheinlichen) Vektoren sollten nicht von vornherein ausgeklammert werden. Gleiches trifft für das Le-bendgeflügel zu: Die zweitgrößte Fabrik Europas zur Vermarktung angebrüteter Eier liegt in der Türkei. Sie produziert über 100 Millionen Bruteier, von denen ein erheblicher Teil in den Export nach Osteuropa geht. Diese Eier können die Geflügelpest übertragen (FAO, in Quelle4). Futter aus Geflügelabfällen ist für Mitteleuropa wohl ein äußerst unwahrscheinlicher Übertragungsweg, wird aber z.B. von den russischen Behörden für einen Ausbruch in einer Farm in Kurgan als möglicher Ansteckungsweg gesehen, bei dem 460.000 Vögel getötet wurden (Quelle4). Die Erfahrungen aus dem BSE-Skandal sollten uns aber auch hier misstrauisch sein lassen. Das alles sind nur Schlaglichter in das Geschäft der Geflügelindustrie. Wann werden die Ausbreitungshypothesen hier ernsthaft überprüft? Zu 5) Diese Anmerkung war kein Vorwurf, sondern eine Anekdote aus dem Ausland. Des Weiteren wurde mir eine E-Mail der Universität Greifswald weitergeleitet (kein wörtliches Zitat):

    Quote:
    Danach wird die Inkubationszeit der (klassischen) Geflügelpest mit 1-7 Tagen angege-ben, und die Krankheitsdauer mit 1-5 Tagen. Somit verbleiben einem infizierten Vogel 2-12 Tage (in denen er auch fliegen kann), um die Erreger weiter zu tragen. In Ausschei-dungen von Enten seien die Viren bei 4°C 30 Tage infektiös, bei 20°C 4 Tage. Im Som-mer werden sie durch UV-Licht schnell inaktiviert. In kotverschmutztem Seewasser sind die Viren bei 0°C bis 30 Tage infektiös, bei 22°C nur 4 Tage.

    Hiernach sind Wildvögel grundsätzlich in der Lage, das Virus zu transportieren. Die Frage ist jedoch, ob dies real tatsächlich in relevantem Ausmaß stattfindet. Relevant meint, in ausrei-chendem Umfang, um zur weiteren Verbreitung der Seuche zu führen. Und hierzu gibt es mei-nes Wissens bisher keine Erkenntnisse (siehe oben zu 1, 2 und 3). Nach nunmehr fast 10 Jah-ren Auftreten der hochpathogenen H5N1-Variante in Asien gibt es keinen nachgewiesenen Fall des Ferntransportes durch Zugvögel, der zu einem Krankheitsausbruch unter Wildvögeln ge-führt hat (sehr wahrscheinliche Ausnahme: der in meinem Schreiben vom 27.2.06 erwähnte Ausbruch in der Mongolei, wenige 100 km vom Ursprungsgebiet in Russland (nicht China) ent-fernt).

    Das FLI ist hat mit Stand vom 3.3.06 aktuelle „Antworten auf Fragen zur hoch pathogenen Aviä-ren Influenza“ als pdf-file ins internet gestellt hat, bei denen Zugvögel eine besondere Rolle spielen (Quelle5) (kein wörtliches Zitat):

    Quote:
    Danach wird als einziger Erklärungsansatz (Hypothese) auf die Frage, wie das Virus noch vor Einsetzen des Vogelzuges nach Rügen kam, auf Wildvögel verwiesen: So könnten Kälteeinbrüche im Januar die Winterflucht von Vogelpopulationen nach Westen ausgelöst haben. Über überlappende Brutgebiete könnten Vögel das Virus vom Aus-bruch am Qinghai See (Mai 2005) erst nach Norden, und dann hier in die Überwinte-rungsgebiete transportiert worden sein. Ein betroffener Singschwan kam zuvor aus Lettland. Allerdings ist in den baltischen Ländern kein H5N1-Fund gemeldet worden. Auch Höckerschwäne können bei langen Kälteperioden bis zu 500 km fliegen. Darüber hinaus seien die Erstausbrüche im Westen Russlands, in Rumänien, der Uk-raine und der Türkei höchstwahrscheinlich auf den Eintrag durch Zugvögel zurückzufüh-ren. Ferner sei ein Kontakt von Zugvögel zu infizierten Tieren in den bisher betroffenen Ländern Afrikas und Europas nicht ausgeschlossen, deshalb kann eine weitere Verbreitung des Virus durch Zugvögel in Europa nicht ausgeschlossen werden. Der Transport über weite Strecken (betroffene Gebiete bis zu uns) wird als eher unwahr-scheinlich bezeichnet, da Wildvögel in der Regel nach einer Infektion sterben. Allerdings sei es denkbar, dass sich der Erreger schrittweise ausbreitet (durch Überlappung von Brutgebieten und Zugrouten). Nach neuesten Untersuchungen können Wasservögel auch hoch pathogene H5N1-Wiren verbreiten, ohne selbst daran zu erkranken. Diese Vi-ren konnten auch aus mobilen, klinisch gesunden Zugvögeln isoliert werden.

    Diese Erklärungsansätze erscheinen mir sehr weit hergeholt. Die Vorstellung, das Virus ist von China im April/Mai 2005 in die Brutgebiete in der arktischen Tundra transportiert worden, dann von dort mit Singschwänen über das Baltikum im Januar 2006 nach Rügen, um (nach 8-9 Mo-naten!) zu einem Ausbruch zu führen, klingt für mich sehr, sehr unwahrscheinlich. Auch die al-ternativ genannten Höckerschwäne scheinen als Vektor für den Ausbruch auf Rügen nicht plausibel. Mir ist nicht bekannt, dass Höckerschwäne aus Südost-Europa bei Kälte nach Nord-nordwest ausweichen. Auch Schwäne aus der Ukraine (wie ist das Virus dorthin gekommen?) würden im Extremfall wohl nicht 1.000 km nach Nordwesten ausweichen, sondern eher die wintermilderen Schwarzmeergebiete oder sogar die Mittelmeerregion aufsuchen. Dass die Erstausbrüche im Westen Russlands, in Rumänien der Ukraine und der Türkei höchstwahrscheinlich auf den Eintrag durch Zugvögel zurückzuführen sind, ist eine weitere Spekulation, für die keinerlei untermauernde Fakten genannt werden. Viel wahrscheinlicher dürfte der Handel mit Geflügel und Geflügelprodukten sein. Wir haben auf den vermeintlichen Zugwegen von Asien nach Westrussland und in die Türkei keinerlei Ausbrüche in der Natur, die aber zu erwarten wären. Wir haben aber einen lebhaften Handel, zahlreiche Straßenverbindun-gen, und in den Massentierhaltungen der Türkei (mit internem Handel mit Geflügel und Geflü-gelprodukten) günstige Voraussetzungen, um eingeschleppten Viren zu Ausbrüchen zu verhel-fen. Im internet finden sich hierzu weitere Informationen, die ich aus Platzgründen nicht wieder-holen möchte (Quelle6).

    Wolfgang Fiedler erwähnt oben unter 4) Rumänien und die Ukraine als Importeure von je 10-15 Mio. Geflügel/Jahr. Allein dieses wäre ein Erklärungsansatz für die Ausbreitung der Seuche in Südost- und Osteuropa. Immerhin stellt das FLI fest, dass ein direkter Ferntransport des Erregers eher unwahrscheinlich ist. Stattdessen wird für denkbar gehalten, dass sich der Erreger schrittweise ausbreitet. Dass dieses aber weder nachgewiesen noch nach dem Auftreten des in Asien in den letzten Jahren auch nur wahrscheinlich ist, wird verschwiegen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass das hoch-pathogene H5N1 in freilebenden Populationen von Wildvögeln überleben kann. Mit den Vögeln stirbt die Seuche. Letztlich werden die Erfahrungen mit dieser Seuche, die in Asien reichlich gesammelt werden konnten, gar nicht zur Kenntnis genommen. Die vom FLI erwähnte Verbindung von Afrika (dort: Geflügelfarm in Nigeria) zu uns durch Zug-vögel ist einerseits ziemlich unwahrscheinlich, andererseits aber hervorragend geeignet, wei-tere Panik vor Zugvögeln auszulösen. Es gehört nicht viel Phantasie dazu, anzunehmen, dass nun alle weiteren Ausbrüche in Europa auf die Übertragung durch aus Afrika kommende Zug-vögel geschoben werden können.

    Das FLI erwähnt neueste Untersuchungen, nach denen Wasservögel das hoch pathogene Vi-rus verbreiten können, ohne daran zu erkranken. Ebenfalls soll nach neuesten Untersuchungen hoch pathogenes H5N1 aus mobilen, klinisch gesunden Zugvögeln isoliert worden sein. Diese Untersuchungen sollten benannt werden, denn sie stehen im Widerspruch zu den bisherigen Erfahrungen. Das, was mich weiterhin bei den Darstellungen des FLI bedenklich stimmt, ist der Ansatz, nur Zugvögel als möglichen Übertragungsweg zu uns zu benennen. Kein Wort zum Handel mit Ge-flügel, kein Wort zum Handel mit Geflügelprodukten. Die Geflügelindustrie ist riesig und vielfäl-tig. Viele Übertragungswege sind möglich, von Eiern und Küken über leere Transportboxen bis hin zu Dünger aus Fäkalien. Keiner von diesen wird benannt. Statt dessen werden öffentlich Wildvögel weiterhin als mögliche oder wahrscheinliche Vektoren dargestellt. Dass dies zu völlig überzogenen Maßnahmen führt, habe ich im Schreiben vom 27.2.06 bereits angedeutet. Mitt-lerweile sollen nicht nur Mehlschwalben-, sondern bereits Storchennester beseitigt werden, und in einem Bundesland wird ernsthaft diskutiert, vorsorglich auffällige Vögel abzuschießen.

    Darüber hinaus hindert der Fokus auf Zugvögel möglicherweise daran, Alternativerklärungen gründlich abzuprüfen. Allerdings möchte ich nicht ausschließen (und hoffe es inständig), dass dies im Hintergrund erfolgt. Zusammenfassend möchte ich feststellen, dass die (Fern-)Verbreitung der hochpathogenen Variante des H5N1-Virus durch Zugvögel sehr unwahrscheinlich ist. Nach dem bisherigen Wis-sen stirbt die Seuche im Freiland mit den Vögeln. Für ein Überdauern im Freiland ohne Aus-bruch der Seuche gibt es momentan keinerlei Anhaltspunkte (theoretisch denkbar vielleicht in überfrierenden Gewässern – oder in noch nicht bekannten Vogelarten, auf die das Virus nicht hochpathogen wirkt). So gibt es immer noch keinen seriösen Erklärungsansatz für das Auftreten in Deutschland. Aber gerade weil wir hier vor mehr Fragen als Antworten stehen, sollten wir nicht so hartnäckig ignorieren, was in Asien in den letzten knapp 10 Jahren an Erfahrungen gesammelt wurde. Erst wenn bei uns auch Zugvögel als mutmaßliche Hauptvektoren in den Hintergrund treten, werden wir die Hauptausbreitungswege erforschen, vielleicht auch erkennen und eindämmen können.

    Klemens Steiof